Kurzkonzept Denkzeit als Deradikalisierungsprogramm

Die Denkzeit-Methode regt innerpsychische Reifungsprozesse bestimmter Ich-Funktionen an, deren ungenügende Entwicklung einen Einstieg in radikale Strukturen begünstigt oder sogar nahelegt.

 

Insbesondere junge Menschen, die sich radikalen Gruppen anschließen, weisen oft besondere Persönlichkeitsstrukturen auf. Sie suchen eine Zugehörigkeit zu radikalen Gruppen, in denen sie ihr starkes Bedürfnis nach Anerkennung und Selbstwirksamkeit befriedigen können und die ihnen anbieten, ihr negatives Selbstkonzept auf Außenfeinde zu projizieren und dort zu bekämpfen. In der gemeinsamen Überzeugung der Gruppe, auf dem „rechten“ Weg zu sein, können sie sich (vermeintlich) stabilisieren. Klare Männlichkeitsnormen, aber auch erlebbare Formen einer idealisierten Väterlichkeit, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und Anerkennung durch sie wirken auf den Einzelnen angstreduzierend und identitätsstiftend.

 

Einfache Parolen und Argumente zur dichotomen Einordnung in Gut und Böse geben Halt und strukturieren eine als unüberblickbar wahrgenommene Welt und ent-schuldigen und rechtfertigen Gewalt und Hass, der sich in gemeinsamen Handlungen entladen kann. Die innere Unruhe und aufgestaute Wut des Einzelnen, wird so für einen Moment besänftigt und reduziert die unangenehme innere Spannung (zumindest für kurze Zeit). Dies bildet sich in Form von z. B. gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, ethnozentristisch oder rechtsextremer Orientierungsmuster ab.

 

Zunehmend sind die Denkzeit-Trainer(innen) mit Jugendlichen konfrontiert die solche Lösungswege suchen oder sich bereits in solche Gruppen einbinden ließen. Die psychischen Strukturen z.B. der rechtradikalen jungen Männer und derjenigen, die sich salafistischen Gruppen zuwenden, sind kaum voneinander zu unterscheiden. Sie alle sind auf der Suche nach sinnstiftenden und haltgebenden Lebensentwürfen. Die Denkzeit-Programme zielen auf das Nachreifen der psychosozialen Funktionen, um bei jungen Menschen die inneren Voraussetzungen zu schaffen, sich aus solchen Gruppen lösen zu können.

 

Charakteristika der Denkzeit-Programme

 

Die Denkzeit-Programme sind modularisierte und manualisierte Einzelmaßnahmen, die über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden (i.d.R. 7-9 Monate). Die Trainingsprogramme sind so konzipiert, dass sie durch die ausgebildeten Trainerinnen und Trainer individualisiert auf den Klienten angepasst werden, das sichert ein strukturiertes, zielorientiertes und passgenaues Training.

 

Ziel der Programme ist es, einen Abbau dissozialer und delinquenter Verhaltensmuster, Reduktion von Gewaltverhalten und Deradikalisierung zu erreichen. Dabei wird großer Wert auf die implizite Bearbeitung und Reduktion gruppenbezogener feindlicher Orientierungsmuster (z.B. ethnozentristisch, rechtsextreme Orientierungsmuster) gelegt.

Zielgruppe sind vor allem straffällig gewordene junge Menschen. Die Programme sind interkulturell offen, d.h. es wird sowohl mit Angehörigen der „Mehrheitsgesellschaft“ als auch mit jungen Menschen mit Migrationshintergrund gearbeitet.

 

 

Die Denkzeit-Programme trainieren gezielt sozialkognitive Fähigkeiten wie z. B.

·         Einfühlung

·         Wahrnehmen und Bearbeiten negativer Projektion

·         Antizipation

·         Frustrationstoleranz

·         Affektkontrolle

·         differenziertes moralisches Urteilen 

 

Sie legen einen besonderen Fokus auf die individuelle Interaktionsfähigkeit und Beziehungsgestaltung der Teilnehmenden. Alle Programme sind darauf ausgerichtet, gewalt- und vorurteilsreduzierend und damit deradikalisierend zu wirken. Die Denkzeit-Programme werden nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen entwickelt und wissenschaftlich begleitet. Einige wurden evaluiert, die Wirksamkeit (im Sinne einer Reduzierung der Rückfallquote) ließ sich signifikant nachweisen (z. B. Körner 2002[1]).

 

Das Radicalisation Awareness Network (RAN) der Europäischen Kommission hat die Denkzeit-Methode in die Liste von „best practice“-Programmen zu Deradikalisierung aufgenommen. Die Denkzeit-Gesellschaft ist seit 2014 assoziiertes Mitglied der Arbeitsgruppe Deradicalisation. Des Weiteren wurde die Denkzeit-Methode in die „Grüne Liste zur Gewaltprävention“ des Justizministeriums Niedersachsen als wirksame Methode aufgenommen.

 

Besondere Angebote für die Arbeit mit radikalisierten Tätern

 

Alle dargestellten Angebote, setzten eine Einbindung in den Haftalltag voraus. Es ist von großer Bedeutung, dass das die Fachkolleg(innen), die mit den Gefangenen in anderen Kontexten ebenfalls arbeiten, einbezogen werden und die Arbeit unterstützen. Die Erfahrung zeigt, dass sich ein intensiver Austausch, ggf. schnelle Rücksprachen, die Teilnahme an Konferenzen und die Mitwirkung an der Förderplanfortschreibung bewährt hat.

 

Denkzeit-interaktionell

Für junge Menschen, die im sozialen Alltag nicht angemessen zurechtkommen oder die nur schlecht eine tragfähige und vertrauensvolle Arbeitsbe­ziehung zu einem professionellen Helfer eingehen können, hat die Denkzeit-Gesellschaft ein spezielles Programm entwickelt.

 

Die meisten der radikalisierten Täter zeigen sich emotional kaum erreichbar, passen sich vielleicht vordergründig an und verhalten sich, ohne sich selbst darüber im Klaren zu sein, auf eine Art und Weise, die jede verlässliche, auf gegenseitig beruhende Bezie­hung schon im Ansatz wieder zerstört. Sie sind zumeist sehr misstrauisch und kränkbar, sind nicht in der Lage oder nicht bereit, sich in die Lage ihres Gegenüber zu versetzen, reagieren impulsiv und ungesteuert auf geringfügige Versagungen, können Spannungs- und Unlustzustände nur schwer aus­halten und haben oft nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, mit affektbestimmten Zuständen umzugehen und von Affekten begleitetes Verhalten zu steuern.

 

Diese Klienten lassen sich in aller Regel therapeutisch nicht erreichen. Mit Denkzeit-interaktionell wurde jedoch ein Verfahren entwickelt, mit dem sich auch diese Klienten oft gut erreichen lassen. Es wird eine prozessuale Interaktionsdiagnostik eingesetzt auf deren Grundlage die speziell geschulten Trainer(innen) Nachreifungen und Umdenkprozesse in Gang setzten.

 

Interaktionelles Coaching

Das interaktionelle Coaching basiert ebenfalls auf dem Programm Denkzeit-interaktionell, ist aber in den Inhalten und der Laufzeit etwas flexibler angelegt. Haltung, Inhalte und Vorgehen sind gleich, der Fokus kann etwas freier gewählt werden. Das interaktionelle Coaching wurde im Rahmen von „Bildungschance Haft“ in der JVA Wriezen äußerst erfolgreich eingesetzt, um Schulabbrecher zu reintegrieren. Es handelt sich um eine Methode, die am ehesten therapeutischen Charakter hat. Hier kann sie eingesetzt werden, um gezielt an der Deradikalisierung und Reintegration ins Gesellschaftssystem zu arbeiten.

 

Sozialkompetenztraining (in Gruppen)

Für junge Menschen, die bereit sind, sich in einer Gruppe zu öffnen, kann eine zielgruppenspezifische Arbeit in der Gruppe angeboten werden. Die Basis bietet die psychoanalytisch-interaktionelle Gruppentherapie, mit der sich große Erfolge bei traumatisierten jungen Menschen erzielen lassen. Ziel ist auch hier ein Nachreifen sozialkognitiver Kompetenzen, aber auch die Förderung der selbstreflexiven Kompetenzen und die Verbesserung sozialer Interaktion.

 

Schulungen für Mitarbeiter

Die Denkzeit-Gesellschaft bietet seit ihrer Gründung sehr erfolgreich Fort- und Weiterbildungen für sozialberuflich Tätige, für Juristen, Polizisten und andere Interessierte an. Die Angebote zeichnen sich durch hohe fachliche Kompetenz der Dozenten und alltagsnahe, plastische und praxisrelevante Darstellung der Inhalte aus. 

 

Psychodynamische Grundlagen der Deradikalisierungsarbeit

Wie ist ein Klient zu dem geworden, was er heute ist? Welche Anpassungsstrategien hatte und hat er? Wie können wir verstehen, dass jemand (teilweise massive) negative Konsequenzen in Kauf nimmt, um seinem Ziel zu folgen? Welche psychischen Einschränkungen und Besonderheiten sind bei radikalisierten Tätern zu finden? Wie entstehen diese und wie können wir ihnen begegnen? All diese Fragen können in einer Seminarreihe erörtert und so beantwortet werden, dass ein hoher Nutzen für die alltägliche Arbeit entsteht.

 

Pädagogische Interaktionsdiagnostik

Ziel ist es in der Arbeit mit Klien­ten, auf die Fähigkeiten und Einschränkungen psychischer und interpersoneller Funktionen der Klienten abgestimmte, gezielte Kommunikationsangebote präsentieren zu können. Dafür ist Voraus­setzung, die verschiedenen Ressourcen und Defizite in den Funktionen der Selbst- und der Be­ziehungsregulierung (Ich-Funktionen) zu erkennen, um entscheiden zu können, welche dieser Funktionen der jeweilige Klient (weiter-)entwickeln müsste, um sich in sozialen Situationen ausreichend adäquat(er) verhalten zu können.

 

Interaktionelle Interventionsstrategien für die Arbeit mit radikalisierten Tätern

Aufbauend auf der pädagogischen Diagnostik, werden konkrete Handlungsstrategien vermittelt, um diese Klientel wirksam zu erreichen. Ziel ist eine individuelle Entwicklungsförderung, die zu einer Nachreifung der oben genannten Ich-Funktionen führt und somit die Grundlage zum Ausstieg aus einem radikalisierten Umfeld und einer grundlegenden „Einstellungsänderung“ ist.

 

Denkzeit-Gesellschaft e.V.

Goebenstr. 24

10783 Berlin

U-/S-Bhf Yorckstraße

(030) 689 15 666

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*Postanschrift:

Goebenstraße 24, 10783 Berlin


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